Aufbruch
Immer noch Krieg in der Ukraine, ein erratischer US-Präsident, der schon morgen ändert, was er heute großspurig verkündet und quasi nebenbei nicht nur die NATO, sondern auch das westliche Wertesystem zu Grabe trägt. Und dann auch eine in zu großen Teilen rechtsexteme Partei, die hierzulande in zumindest einer aktuellen Umfrage die höchsten Zustimmungswerte aufweist: Das alles sind nur einige der Gründe, warum einem aktuell angst und bange werden kann um diese Welt – vielleicht sogar mehr als je zuvor seit dem Ende des zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren.
Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht zu Pessimismus neige. Ganz im Gegenteil. Und natürlich sind die aktuellen Herausforderungen auch Chancen. Wir müssen sie nur zu nutzen wissen und endlich unsere jahrzehntelange Verzagtheit ablegen, wir müssen deutlich selbstbewusster und unabhängiger werden. Die gerade beschlossene Lockerung der Schuldenbremse, um die Bundeswehr endlich vernünftig ausstatten zu können, ist da nur ein erster Schritt, nach dem noch viel zu tun bleibt. Ein Beispiel: 2024 hat Europa gerade einmal drei Raketen ins Weltall geschossen – Amerika kommt im gleichen Zeitraum auf 136. Von weltraumbasierten Verteidigungsschirmen oder Überwachungssatelliten müssen wir an dieser Stelle gar nicht reden. Und auch unsere Infrastruktur müssen wir auf Stand bringen. Ich möchte nicht darüber nachdenken, was in Deutschland passiert, wenn die amerikanischen Tech-Konzerne Apple, Microsoft, Google & Co. Europa für ein paar Monate vom Netz nehmen.
Die EU, so heißt es oft, wächst an ihren Krisen. Die Hoffnung darauf sollten wir nicht verlieren. Parallel dazu braucht es aber zum institutionalisierten Europa eine neue Zusammenarbeit, ein „Europa der Willigen“ – gerne mit Ländern wie Großbritannien, der Schweiz und Norwegen, die der EU nicht (mehr) angehören. Und ganz sicher ohne Ungarn, das unter Demokratiefeind Viktor Orbán eher trojanisches Pferd und williger Vetogeber im Interesse Wladimir Putins ist als Partner in einem westlichen Wertebündnis. Ein solches „Europa der Willigen“ muss übrigens nicht an den Grenzen des Kontinents enden, sondern könnte auch Kanada und anderen außereuropäischen Ländern, die sich Werten wie Demokratie und Freiheit verpflichtet fühlen, und sich klar gegen Rassismus, Autokratie und Korruption stellen, einen Platz bieten.
Veränderungen braucht es aber nicht nur in der internationalen Zusammenarbeit. Auch vor Ort, in den Ländern und auf Bundesebene braucht es endlich wieder den Mut, Dinge anzupacken und Lösungen zu finden auch abseits vom Parteienstreit. Verstehen sie mich nicht falsch: Das demokratische Ringen um die beste Lösung ist wertvoll und wichtig. Dennoch hat mich beeindruckt, was Ex-Außenminister Joschka Fischer vor einigen Tagen auf der westfälischen Friedenskonferenz in Münster gesagt hat: „Ich habe Friedrich Merz nicht gewählt. Trotzdem wünsche ich ihm, dass er als Kanzler größtmöglichen Erfolg hat.“ Ein Scheitern der gar nicht mehr so großen CDU/SPD-Koalition würde extremistischen Kräften weiteren Auftrieb geben, ist Fischer überzeugt.
Ein ehemaliger APO-Aktivist als Streiter für einen designierten CDU-Bundeskanzler: Vor Jahren hätte man das wohl schnell als Hirngespinst abtun können. Heute ist es Realität. Realität muss es auch werden, dass wir uns auf unsere Stärken besinnen, dass wir gemeinsam den Aufbruch wagen und Hemmschuhen wie Bürokratie, Autokratismus und Bedenkenträgertum den Kampf ansagen. Wir brauchen eine Kultur von Leistung und Freiheit, wir brauchen mehr Freiräume und wir müssen mehr Risiken eingehen. Dies gilt insbesondere für Ministerien, die aufhören müssen sich selber und die Wirtschaft mit Bürokratie zu überschütten und in einem bürokratischen Selbstgefallen zu baden. Dazu gehört auch eine neue Form der Fehlerkultur. Wenn Freiräume genutzt und Risiken eingegangen werden, kann auch mal was in die Hose gehen. Das zu akzeptieren müssen wir lernen. Wir können nicht jedes Risiko vermeiden und absichern, es gibt auch noch so etwas wie das allgemeine Lebensrisiko. Und natürlich müssen wir den Blick optimistisch nach vorne richten. „Diese Bundesregierung verdient bei den schwierigen Umsetzungsmaßnahmen unsere gemeinsame Unterstützung, damit der Laden läuft“, hat der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück in seiner Friedenskonferenz-Rede formuliert. Ich bin definitiv dabei und hoffe, dabei kann ich auch in voller Breite auf Sie und euch zählen. Es geht nicht um Parteipolitik, es geht um wirtschaftliche Stabilität, um unseren Wohlstand und vor allem geht es um unsere Demokratie.
Ihr Frank Tischner