Endlich auf die Lieferkette kriegen

Nach den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen tragen Unternehmen Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehungen und Lieferketten. Unternehmen sollen ihre Produkte nur unter Einhaltung der Menschenrechte produzieren. Ob Zwangsarbeit in China, Kinderarbeit in Indien, Hungerlöhne oder umweltschädliche Arbeits- und Produktionsbedingungen – überall auf der Welt sollen solche schädlichen Arbeitsbedingungen verhindert werden. Das alles müsste keine Sollbestimmung, sondern eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber leider nicht.

Abhilfe schaffen soll das neue Lieferkettengesetz. Ab dem 1. Januar 2023 soll es gesetzlich regeln, dass Unternehmen zur Einhaltung sogenannter Mindeststandards verpflichtet werden. Bei Verstößen drohen Bußgelder und der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen als Strafen. So weit, so gut. Wir sind uns sicher alle einig, dass das Lieferkettengesetz auf den ersten Blick eine gute Sache ist und ein ebenso gutes Ziel verfolgt. Doch meine ich: Das Ziel ist richtig, allein der Weg stimmt nicht!

Für das Handwerk wird das Lieferkettengesetzt erst einmal nicht relevant sein, jedoch möchte ich mich aufgrund des internationalen Engagements unserer Kreishandwerkerschaft und unserer Erfahrungen sowie als Vorsitzender des Vorstandes des Unternehmens- und Wirtschaftsverbandes Westfalen e. V. an dieser Stelle grundsätzlich dazu äußern.

Die Bundesregierung will deutsche Unternehmen verpflichten, ihrer globalen Verantwortung für die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards besser nachzukommen. Schon im Februar habe ich mich mit dem Lieferkettengesetz beschäftigt und wollte einen Blogbeitrag zu dem Thema schreiben. Ich habe verfolgt, wie der Entwurf vorgestellt wurde, auf den sich die Beteiligten nach langem Ringen geeinigt haben. Tatsächlich ist das, was uns dort letztlich präsentiert wurde, nur noch ein verwässerter Rest der Ursprungsversion. Das hat mich wirklich wütend gemacht. Wie große und nationale Wirtschaftsverbände das Gesetzvorhaben über Jahre mit Erfolg torpediert haben, kann ich nicht verstehen. Denn wir hätten schon längst ein Lieferkettengesetz haben können – in Frankreich, Niederlande, Großbritannien gibt es sie bereits. Die deutschen Wirtschaftsverbände hingegen machten in den vergangenen Monaten massiv Druck und erhöhen diesen stetig. So forderten sie eine „mittelstandsfreundliche Ausgestaltung‟ des Gesetzes.

Was bitte soll eine „mittelstandsfreundliche Ausgestaltung“ in Bezug auf das Thema Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen sein? Das habe ich mich anfangs gefragt. Nach mehreren Gesprächen mit Inhabern mittelständischer Unternehmen, verstehe ich diese Sicht inzwischen etwas besser. Ein Unternehmer hat in der Regel mit einem Großhändler zu tun, weiß jedoch nicht, wie viele ihm unbekannte Zwischenhändler noch involviert sind, ehe er seine Ware erhält. Dieser mittelständische Unternehmer kann also gar nicht dafür sorgen, dass alle an der Lieferkette Beteiligten sich dem neuen Gesetz entsprechend verhalten. Wie auch? Dazu sieht das Lieferkettengesetz auch keinerlei Inhalte vor.

Anders sieht es mit den großen Unternehmen aus. Wird einer Firma ein Missstand in der Lieferkette bekannt, soll sie verpflichtet werden, für Abhilfe zu sorgen. Eine Behörde wird dies überwachen. Wer sich bislang noch mit Stellungnahmen herausreden konnte, den zwingt das neue Lieferkettengesetz womöglich in Zukunft, seinen Unternehmensstandort in Xinjiang aufzugeben, denn dass die Uiguren im Nordwesten Chinas ausgebeutet werden, ist schon jetzt nicht mehr schönzureden.

Das Lieferkettengesetz in seiner aktuell vorgeschlagenen Version hilft uns in der Sache nicht weiter. Meiner Meinung nach muss der Staat dafür Sorge tragen, dass Produkte in Deutschland handelsfähig sind. Eine solche Aufgabe kann nicht auf den einzelnen mittelständischen Unternehmer verlagert werden.

Sie kennen das CE-Kennzeichen für Verbraucher. Dieses staatliche Siegel zeigt den Verbrauchern, dass es sich um ein sicheres, weil dahingehend geprüftes Produkt handelt – zum Schutze der Verbraucher. Wieso gibt es ein solches Siegel nicht für die Arbeitsbedingungen entlang einer Lieferkette? Vielleicht weil zu viele Fragen unbeantwortet sind: Welche Instanz soll die Einhaltung des Lieferkettengesetzes feststellen? Wie können deren Ergebnisse dokumentiert werden? Ist es möglich, unsere Einfuhrgrenzen für Produkte, die die Lieferkettenprüfung nicht bestehen, zu schließen? Hier müsste der Druck aufgebaut werden.

Am Donnerstag, 20. Mai um 9 Uhr ist es soweit. Dann soll das neue Lieferkettengesetz im Bundestag abschließend beraten und verabschiedet werden. Umsetzbar oder nicht? Wir müssen das Lieferkettengesetz endlich auf die Kette kriegen. Ohne zu große Kompromisse, denn Menschenrechte sind kompromisslos, aber mit klaren Handlungsempfehlungen – für den Anfang ebenso wie das Ende einer jeden Lieferkette. Denn bekanntlich ist jede Kette nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Und das Lieferkettengesetz hat noch so einige Schwachstellen.

Ihr Frank Tischner