Mindestlohn für Azubis? Bitte nicht!

Warum Ausbildung mir dennoch lieb und teuer ist

Neulich habe ich mich möglicherweise unbeliebt gemacht. Zugegeben, das gehört ab und zu auch zu meinem Job, ansonsten wäre ich Eisverkäufer geworden. Was ist passiert. Ich habe mich gegenüber einer regionalen Tageszeitung kritisch zum Thema „Mindestlohn für Azubis“ geäußert. Natürlich stehe ich zu meinem Wort: Eine höhere Ausbildungsvergütung löst das Problem des Fachkräftemangels hierzulande nicht. Im Gegenteil: Langfristig verschärft sie es, weil immer weniger Betriebe in der Lage sein werden, überhaupt noch Nachwuchskräfte auszubilden. Und interessanter werden Ausbildungsberufe meiner Meinung nach nicht durch eine höhere Bezahlung. Auch, wenn das der ein oder andere Gewerkschafter vielleicht anders sieht.

Ich möchte an dieser Stelle erklären, warum ich das so sehe.

Eine Ausbildungsvergütung ist kein Arbeitslohn!

Klingt hart, ist aber so. Mit der Ausbildungsvergütung erhalten die Lehrlinge zwar eine Bezahlung. Diese richtet sich aber nicht 1:1 nach den geleisteten Arbeitsstunden, sondern berücksichtigt viele Aspekte der Ausbildung. Für mich als Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf stehen dabei an erster Stelle die Investitionen, die Arbeitgeber für ihre Auszubildenden tätigen. Es klingt unbequem: Aber ein Azubi kostet den Betrieb richtig viel Geld. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Jeder in Bildung und Ausbildung investierte Euro ist gut angelegtes Geld. Dennoch hat die finanzielle Leistungskraft von Unternehmen Grenzen.

Neben der Ausbildungsvergütung zahlt der Arbeitgeber Sozialabgaben und Versicherungen für seine Azubis, er kommt für Überbetriebliche Unterweisungen und Lehrgänge auf, übernimmt Prüfungsgebühren und trägt das Risiko im Krankheitsfall seiner Mitarbeiter. Und er investiert Arbeitszeit für praktische Anleitung durch erfahrene Mitarbeiter.

Nicht von ungefähr sind wir Deutschen gemeinsam mit Österreich, der Schweiz und Luxemburg die Einzigen in Europa, die ihren Azubis überhaupt eine Vergütung bezahlen. Aber weil unsere Ausbildung so gut ist, gehören wir alle zusammen auch nicht von ungefähr zu den Ländern mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit.

Mehr Vergütung bedeutet höhere Rechnungen und unzufriedene Kunden.

Wer seinen Auszubildenden mehr Geld zahlt, muss auch höhere Rechnungen ausstellen – und stößt an Grenzen der Kunden-Akzeptanz. Schon heute kritisiert manch Kunde, wenn auf der Handwerkerrechnung die Einsatzzeiten des Auszubildenden überhaupt ausgewiesen werden. Aber jetzt mal Hand aufs Herz:  Woher soll das Geld für die Ausbildung denn kommen, wenn es nicht verdient werden darf?

In kaum einem Handwerksberuf offenbart sich die Doppelmoral vieler Verbraucher so sehr wie im äußerst personalintensiven Friseur-Handwerk. Nimmt sich ein Unternehmen viel Zeit für Typberatung, Haarpflege und Kosmetik und investiert es dann noch in Schulungen, damit die Mitarbeiter modisch immer auf der Höhe der Zeit sind, hat das seinen Preis. Doch gerade in dieser Branche propagieren Verbraucher oftmals Schwarzarbeit oder loben den Billigfriseur aus dem Bahnhofsviertel für dessen Acht-Euro-Haarschnitt. Wie bitteschön soll ein Unternehmen angesichts dieser Haltung denn das Geld für eine höhere Ausbildungsvergütung verdienen? Hier dem Handwerk den Schwarzen Peter zuzuschieben und mit dem Finger auf den „Motor der Wirtschaft“ in der Region zu zeigen, ist unfair.

Geld allein macht Ausbildungsberufe nicht interessant für junge Leute.

Können Sie sich noch erinnern, warum Sie Ihren Beruf und keinen anderen erwählt haben? Weil die Arbeit Sie interessiert hat? Weil Sie die Zusammenarbeit mit den Menschen in Ihrem Job mögen? Weil Sie Spaß an der Technik haben? Oder, weil Sie genau wussten, was in Euro und Cent am Monatsende auf Ihrem Lohnzettel steht? Jetzt mal ehrlich, welcher Rechtsanwalt unter Ihnen hat sich allein wegen der zu erwartenden attraktiven Vergütung durch ein jahrelanges und unter Umständen staubtrockenes Jura-Studium gequält, wenn er nicht auch Spaß an der Materie gehabt hätte? Welcher Elektroniker hätte sich in der Berufsschule freiwillig mit dem Ohm’schen Gesetz auseinandergesetzt, wenn er den Aufbau von Schaltkreisen oder die Einrichtung eines Smart Home nicht auch interessant gefunden hätte?

Sie merken, worauf ich hinaus will. Ohne Leidenschaft für ein Fachgebiet, ohne Freude am eigenen Tun geht es nicht. Weder in akademischen, noch in Handwerksberufen. Ich vermisse heute zuweilen bei jungen Menschen – und manchmal mehr noch bei ihren Eltern – die Einsicht, dass Investitionen in die eigene Ausbildung etwas wert sind. Ich meine, sie sollten nicht nur den Betrieben, sondern auch den Azubis selbst etwas wert sein. Wer eine Ausbildung absolviert, investiert in seine Zukunft, in ein bestimmtes Lebensmodell, in seine Träume. Es muss ja nicht mehr so sein wie in früheren Zeiten, als der Lehrling an seinen Ausbildungsbetrieb sogar noch „Lehrgeld“ gezahlt hat, aber die Akzeptanz einer niedrigeren Vergütung während der Ausbildung ist auch ein Beitrag.

Ich meine, und das zeigt auch meine ganz persönliche Erfahrung, der Wert von Ausbildung bemisst sich anders als in monetärer Hinsicht.
Dazu stehe ich. Auch wenn ich mich damit bei einigen Leuten nicht beliebt mache!

Ihr
Frank Tischner

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