Normalerweise anders!

Wir sprechen im Alltag darüber, dass man dies oder das auf diese oder jene Weise machen muss. Es soll Menschen geben, die sich über Menschen aus anderen Ländern aufregen, die eine andere Kultur haben und nicht nach unserer deutschen Norm leben. Auch innerhalb Deutschlands wird häufig beanstandet: „Das ist doch nicht normal.“
Doch wer legt eigentlich fest, was normal ist? Wieso muss ich mein individuelles Verhalten an einem imaginären Normalverhalten ausrichten? Wie ich auf diese Fragen komme? Ich möchte Ihnen gern von drei Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit berichten. Jedes für sich genommen, mag nur eine persönliche Befindlichkeit oder für manche auch Kleinigkeit sein. Aber zusammengenommen zeigen diese Beispiele doch sehr anschaulich, dass meine Person und mein Verhalten nicht immer als normal angesehen werden. Gut, denn ich bin gern im positiven Sinne anders!

Auffälliges Sakko
Ich liebe es, auf meine Kleidung Wert zu legen. Es muss nicht teuer sein, aber zum Typ passen und vor allem muss es im Gesamtauftritt stimmig sein. Zu einer Veranstaltung trug ich, zugegeben, ein etwas auffälligeres Sommersakko mit knallgrünem Muster. Einige der Anwesenden haben mich sehr nett und höflich auf mein Outfit angesprochen, insgesamt war es aber eine große Anzahl. Etwas beeindruckt begann ich meinen Vortrag daraufhin mit den Worten: „Wenn sie meinen Ausführungen genauso viel Aufmerksamkeit zukommen lassen, wie meinem heutigen Sakko, dann würde ich mich sehr freuen‟. Natürlich hatte ich mit dieser Selbstironie die Lacher auf meiner Seite. Doch es ging mir nicht um die Lacher, sondern eigentlich wollte ich latent die Frage stellen: Was ist hier los? Wieso unterhalten wir uns über mein Outfit? Als ich einige Tage später in einer unserer Lokalzeitungen dann mein Eingangszitat auch noch als „Spruch der Woche“ abgedruckt entdeckte, war die Sakkostory perfekt.

Mehr als erwartet
Ein paar Tage später habe ich in Münster einen Vortrag zu den internationalen Bildungsthemen der Kreishandwerkerschaft Steinfurt Warendorf gehalten. In der anschließenden Diskussionsrunde wurden von interessierten Menschen großartige Fragen gestellt, die ich gerne beantwortete. Die letzte Frage hatte allerdings gar nichts mit dem Thema des Vortrags, der internationalen Bildung, zu tun. Britta Heithoff vom Münster-Magazin fragte, ob ich etwas zu meiner Aktion „Jonas‟ erzählen könnte. Zur Erklärung: Das Münster-Magazin hatte einige Wochen zuvor meine Kita-Besuche mit der Handpuppe Jonas und mir als Bauchredner in einem redaktionellen Beitrag vorgestellt. „Daran könnte ich doch gut erklären, was ich damit meine, wenn ich immer betone ‚anders‘ zu sein“, ermunterte sie mich. Natürlich habe ich diese Frage sehr gerne beantwortet und den Gästen an dem Abend erklärt, warum ich mich als Hauptgeschäftsführer einer Kreishandwerkerschaft gern auch mal in ein Bällebad in einen Kindergarten setze und mit einer Handpuppe bauchredend den Kindern Handwerks-Themen erkläre. Im anschließenden Gespräch erklärte mir Frau Heithoff, dass doch jeder von einem Hauptgeschäftsführer erwarte, nach einer gewissen Norm in den üblichen 08/15-Vorstellungen zu arbeiten. Dass ich in meiner Funktion das eben nicht mache, fände sie super. Und ja, es wäre vielleicht einfacher, das gesellschaftliche Normalsein einzuhalten, um die eigenen Sidesteps nicht erklären zu müssen. Aber das wäre doch langweilig.

Emotionen zeigen
Gar nicht langweilig waren auch die vielen Jahren der Planung und Realisierung für unsere neuen Bildungszentren in Beckum und Rheine, die Ende April feierlich eröffnet wurden. Nach dem offiziellen Teil bat ich die Anwesenden um Aufmerksamkeit, um mich bei meinem Geschäftsführerkollegen und Projektleiter vor allen auf der großen Bühne persönlich für sein Engagement zu bedanken. Doch schon als ich mit meinen Worten anfing, merkte ich, wie mir die Stimme wegblieb. In diesem Moment gingen mir die viele Veränderungen bei der Kreishandwerkerschaft in den letzten Jahren durch den Kopf: Restrukturierung, neue Kultur im Team, neue Strukturen in den Abläufen, neue Dienstleistungsangebote, kids.company, internationale Bildung usw. Natürlich haben mich seinerzeit einige Menschen auch für verrückt erklärt. So nach dem Motto: Die Hütte brennt und der Hauptgeschäftsführer ist in Afrika, um dort über Bildungsthemen zu sprechen. Ja, musste ich. Denn ich hatte eine Vision, ein Ziel und eine Strategie, die ich dafür verfolgt habe. Vor allem aber den Mut, es auch durchzuziehen und die Verantwortung zu übernehmen, um etwas positiv zu verändern, dies mit Unterstützung eines hervorragenden ehrenamtlichen Vorstandes. Natürlich habe ich dabei auch Fehler gemacht, aber die Leidenschaft, Professionalität und auch der Zusammenhalt zwischen allen Beteiligten in Ehren- und Hauptamt haben zum gemeinsamen Erfolg geführt. Heute sind wir eine moderne und zukunftsorientierte Kreishandwerkerschaft, was auch durch die modernen Werkstätten sichtbar zum Ausdruck kommt. Doch zurück zum besonderen Moment auf der Bühne: Wenn mich hin und wieder meine Emotionen einholen und das im beruflichen Umfeld nicht die Norm ist, so ist es doch menschlich. Ich bin stolz darauf, dass ich das auch zeigen kann und darf. Dieser bewegende Moment hätte nicht stattgefunden, wenn ich mich an die sogenannte Norm gehalten hätte. Solche besonderen Momente, die für immer in Erinnerung bleiben, kommen nämlich nur dann, wenn man sich mit dem ganzen Herzen für etwas einsetzt.

Und genau deshalb bin ich motiviert, meinen persönlichen Weg so weiterzugehen, egal was andere denken. Denn das ist mein persönlicher Anspruch: Normalerweise anders zu sein.

Ihr Frank Tischner