Es liegt an uns selbst

Unsere Gesellschaft und damit unsere Arbeitswelt haben sich komplett gewandelt. Damit erzähle ich Ihnen nichts Neues. Mittlerweile ist allen Unternehmen klar, dass sie sich bei den potenziellen Mitarbeitenden bewerben müssen, um überhaupt noch eine Chance auf erfahrene Fachkräfte oder gar ausbildungswilligen Nachwuchs zu haben. Meiner Meinung nach wird eine große Gruppe von potenziellen Arbeitnehmenden, die dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, bislang völlig außer Acht gelassen: Langzeitarbeitslose. Und jetzt höre ich schon die Klischees wie „Die wollen doch gar nicht arbeiten“ oder „Das Aufstehen von der Coach lohnt sich finanziell für die doch gar nicht.“ Stopp. Fakt ist, unter 20 Prozent der Leistungsbeziehenden nutzen das System aus, der wirtschaftliche Schaden durch Steuerhinterziehungen ist um ein Vielfaches größer als der Betrug bei Sozialleistungen. Die große Mehrheit erhält zu Recht die ihnen zustehenden Sozialleistungen. Fakt ist allerdings auch, dass Deutschland es sich auf Dauer nicht leisten können wird, immer mehr Geld in dieses System zu pumpen. Wie kommen wir also raus aus der Misere?

Es liegt wie so oft an uns selbst. Wir brauchen mehr Eigenverantwortung! Wir müssen uns selbst um diese Menschen kümmern, damit sie sich wieder um sich selbst kümmern können. Und ich wette, die meisten möchten das auch. Ihre Situation als Langzeitarbeitslose aus eigener Kraft heraus verlassen und ihr Leben damit positiv verändern. Nur glauben viele vermutlich nicht (mehr?) daran, es eben selbst schaffen zu können. Und warum? Daran haben wir als Wirtschaft, als Behörden, als Unternehmen und auch als Gesellschaft sicher einen großen Anteil. Und nicht zuletzt als Menschen. Wie begegnen wir denn Menschen, die uns für eine Anstellung vorgeschlagen werden?

Ich bin der Überzeugung, dass es sich lohnt, hier mehr Verantwortung zu übernehmen, und nicht auf Vorurteile oder vielleicht auch auf schlechte Erfahrungen bei Einzelfällen zu setzen. Ich möchte Ihnen ein jüngstes Beispiel nennen. Gemeinsam mit dem jobcenter Kreis Steinfurt haben wir kürzlich eine Entdeckungstour durchs Handwerk durchgeführt. Eingeladen waren Leistungsbeziehende aus dem Bereich des Sozialgesetzbuch II, die sich freiwillig bei uns in den Werkstätten sowie in zwei Betrieben über mögliche Perspektiven informieren konnten, um ihren Weg ins Handwerk zu finden. Wir hatten dafür einen Bus gechartert und es gab zu Beginn ein hervorragendes Frühstück von unserem Bistro Mundwerk. Warum ich das betone? Wir machen keinen Unterschied, ob wir ein Unternehmensfrühstück mit Gästen aus der Bundespolitik bei uns veranstalten oder eben Langzeitarbeitslose aus der Region bei uns begrüßen dürfen. Bei uns im Handwerk zählt der Mensch. Das ist mir persönlich besonders wichtig, weil ich es in meiner beruflichen Karriere selbst auch schon anders erleben musste. Während meiner Tätigkeit in einem großen amerikanischen Konzern war ich viele Jahre nur eine Nummer. Bei der Kreishandwerkerschaft zähle ich als Mensch und begegne allen Menschen aus tiefster Überzeugung auf Augenhöhe und stets wertschätzend.

Was mich am meisten freut: Unsere Entdeckungstour war erfolgreich. Die Menschen, die teilgenommen haben, haben Wertschätzung und aufrichtiges Interesse an ihrer Person erfahren. Sie hatten nicht nur einen schönen Tag bei uns, wir haben konkrete positive Ergebnisse in Form von freiwilligen Praktika und vielversprechenden Gesprächen verzeichnen können. Durch einen ehemaligen Umschüler, der von seinen Erfahrungen im Handwerk berichtete, haben sie von einem positiven Vorbild authentisch erfahren, dass es einen Weg raus aus der Langzeitarbeitslosigkeit gibt, wenn sie selbst aktiv werden. Und dazu gehört auch, dass wir es ihnen nicht so schwer machen. Durch ablehnende Haltung, einschläferndes Behördentum und den Vorurteilen in unseren Köpfen. Es geht nämlich auch anders: Alle Anwesenden aus den Betrieben, der KH und dem jobcenter Kreis Steinfurt haben die Menschen ermutigt, waren offen für ihre Sorgen und haben ihnen Unterstützung zugesagt.

„Bei uns zählt nicht, wo du herkommst, sondern wo du hinwillst.“ – So lautet der Spruch der Imagekampagne des Deutschen Handwerks. Ein schöner Aufruf zur Selbstwirksamkeit. Werden wir selbst wirksam!

Ihr Frank Tischner