Die Zeiten ändern sich

Als ich letztens in den heimischen Zeitungen blätterte, fiel mein Augenmerk auf zwei Artikel und leise erklang in meinem Kopf die leicht quäkende und nasale Stimme von Bob Dylan mit The Times Are A-Changin‘. Dabei stand gar nichts Revolutionäres in den veröffentlichten Pressemitteilungen der IG Bauen-Agrar-Umwelt. Es ging lediglich um die hohe Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen im heimischen Bau-Handwerk und die Empfehlung an die Jugendlichen, sich vor allem bei Innungsunternehmen nach einer Lehrstelle umzusehen, denn diese lägen bei den Verdiensten, Arbeitsbedingungen und der Beschäftigungszufriedenheit weit vor Betrieben ohne Tarifbindung. Der andere Artikel, der die Gewerkschaft zitierte, forderte die Wiedereinführung der Meisterpflicht bei den seit 2004 zulassungsfreien Handwerken.

Das offene Plädoyer der Gewerkschaft für Innungsbetriebe als Ausbildungsbetriebe ist natürlich nur auf den ersten Blick erstaunlich. Schließlich sehen die Gewerkschaften in der Zunahme von Betrieben ohne Tarifbindung auch eine Gefährdung ihrer Funktion als Sozialpartner. Hier wurde nur deutlich, dass sich Arbeitgeberverbände, wie es auch die Innungen und die Kreishandwerkerschaften sind, und die Gewerkschaften bei allen Unterschieden brauchen und schätzen, denn diese Sozialpartnerschaft garantiert eine Konsensfindung ohne staatlichen Einfluss, und dies war den Vätern und Müttern des Grundgesetzes so wichtig, dass sie die Koalitionsfreiheit unter den Schutz der Verfassung stellten. Warum die Gewerkschaften derzeit jedoch eine gesetzlich verankerte Mindestausbildungsvergütung fordern, die – wie eine datengestützte Simulation des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zeigt – vor allem zu Lasten kleiner Ausbildungsbetriebe im Handwerk geht, ist ein anderes Kapitel und wird in meinem Blog sicherlich noch einmal aufgegriffen werden.

Wie gesagt, dass die IG Bau tarifgebundene Innungsunternehmen gut findet, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Was bei mir Bob Dylans Stimme zum Klingen brachte, war deshalb auch mehr der damit mitschwingende Gedanke, dass Tariftreue für den Berufsnachwuchs und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die man an das Unternehmen binden will, ein zunehmend wichtig werdendes Argument bei der Ausbilder- und Arbeitgeberwahl wird.

Lange Zeit hatten die Handwerksinnungen, deren Mitgliedschaft freiwillig ist, damit zu kämpfen, dass vor allem neu gegründete Unternehmen eine Innungsmitgliedschaft scheuten, weil man durch die Tarifbindung zu hohe Personalkosten befürchtete. Aber wie schon Bob Dylan wusste: die Zeiten ändern sich. Der Fachkräftemangel wird noch größer werden. Und die insbesondere gut ausgebildeten Mitarbeiter werden sich ihren Arbeitgeber aussuchen können. Und plötzlich wird die Innungsmitgliedschaft, wie man im Marketing-Deutsch sagt, „sexy“. Dass eine Innungsmitgliedschaft – nicht nur, aber vor allem für Ausbildungsbetriebe – schon immer Vorteile geboten hat, sei in diesem Zusammenhang nur einmal kurz angemerkt.

Die Sympathie der Gewerkschaften für die Innungsunternehmen im Handwerk ist erklärt, und auch meine Hoffnung, dass erkannt wird, dass die Zugehörigkeit zu einer Innung in der heutigen Zeit für ein Handwerksunternehmen mehr denn je wichtig ist, habe ich mit Unterstützung von Robert Allen Zimmerman alias Bob Dylan zum Ausdruck gebracht. Doch was ist so erstaunlich daran, dass die IG Bau die Wiedereinführung der Meisterpflicht für Handwerke fordert, die mit der Novellierung der Handwerksordnung 2004 zulassungsfrei wurden? Vielleicht, weil es hier eine seltene Koalition derjenigen gibt, die die Rolle rückwärts wünschen. Denn auch der stellvertretende Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Carsten Linnemann, seines Zeichens auch Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, nannte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Abschaffung der Meisterpflicht von Handwerksberufen wie den Fliesen-, Platten- und Mosaiklegers oder des Raumausstatters einen Fehler.

Die einen sehen die Selbstausbeutung in den Ein-Mann-Betrieben und den Verlust qualitativ hochwertiger Ausbildungs- und Arbeitsplätze mit Sorge, die anderen fürchten sich vor Qualitätsverlust und negative Folgen für die Verbraucher. Hoffen wir mal, dass sich auch bei der Frage des Großen Befähigungsnachweises Bob Dylan als Prophet erweist. Und in meinem Kopf dann die Meistersinger von Nürnberg erklingen mit Verachtet mir die Meister nicht und ehret mir ihre Kunst.

Ihr

Frank Tischner

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