Berufliche Bildung stärken – aber bitte ohne teuren Etikettenschwindel!
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich finde es toll, dass Bundesbildungsministerin Anja Karliczek die berufliche Bildung in Deutschland stärken möchte. Seitdem die Politikerin aus Brochterbeck im Amt ist, hat sie das immer wieder bekräftigt – zuletzt noch während der Freisprechungsfeier der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf im Sommer dieses Jahres in Ibbenbüren. Doch was sie nun in ihrer Grundsatzrede auf dem Berufsbildungskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes angekündigt hat, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Vor den Gewerkschaftern nannte Ministerin Anja Karliczek zwei Kernpunkte, die das Ansehen der beruflichen Bildung stärken sollen:
Erstens: Mehr Geld für die Azubis durch eine Mindestvergütung für Auszubildende aller Branchen, die sich insgesamt an den BAföG-Sätzen orientiert.
Zweitens: Neue Bezeichnungen für die Abschlüsse in der beruflichen Bildung. Statt von Facharbeitern, Gesellen und Meistern sollen wir nach dem Willen der Ministerin ab 2020 von Berufsspezialist, Berufsbachelor und Berufsmaster sprechen.
Was ich von beiden Vorschlägen halte, möchte ich gerne mit einer Gegenfrage beantworten: GEHT’S NOCH? Noch einmal: Auch ich finde es gut und richtig und wichtig, die berufliche Bildung in unserem Land zu stärken. Aber doch bitte nicht mit einem teuren Etikettenschwindel!
Was mich an dieser Stelle mehr als irritiert, sind vor allem zwei Dinge:
Erstens: Die Mindestvergütung für Auszubildende. Ich bin auch dafür, berufliche und akademische Bildung gleichwertig zu behandeln. Aber das gelingt nicht dadurch, dass ich einen Blick auf die BAföG-Tabelle werfe und die Ausbildungsvergütung entsprechend anpasse. Wer so handelt, übersieht einen wesentlichen Unterschied zwischen akademischer und beruflicher Bildung. Erstere zahlt die öffentliche Hand, letztere ist rein privatwirtschaftlich getragen.
Für einen Unternehmer bedeutet das vor allem eines: Die Ausbildungsvergütung, die er seinem Lehrling zahlt, muss er sich auch leisten können! Aus meiner Sicht ist es ein Unding, wenn sich Politik in die Tarifautonomie einmischt und selbstständigen Unternehmern ungefragt in die Tasche greift und Vorschriften zur Ausbildungsvergütung macht.
By the way – ich habe es an dieser Stelle schon einmal gesagt: Die Ausbildungsvergütung ist kein Lohn für geleistete Arbeit. Sie ist vielmehr eine Bezahlung, die viele Aspekte der Ausbildung berücksichtigt. Dazu gehört auch, dass es einen Betrieb richtig viel Geld kostet, einen jungen Menschen auszubilden. Eine Ausbildung ist für beide Seiten – Unternehmen wie Azubi – eine Art Investition in die Zukunft. Verdonnert die Politik Unternehmen dazu, höhere Ausbildungsvergütungen zu zahlen, erweist sie der beruflichen Bildung in Deutschland wahrlich einen Bärendienst. Denn steigen die Kosten für die Ausbildung, sinkt mit hoher Wahrscheinlichkeit die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze.
Ich meine: Wenn dem Staat die berufliche Bildung lieb und teuer ist, dann sollte er auch in bessere Bedingungen für Auszubildende investieren. Dazu gehören Investitionen in handwerkliche Bildungszentren gleichsam wie in eine bessere Ausstattung von Berufsschulen. Vor diesem Hintergrund wäre auch gegen eine höhere Vergütung für Auszubildende nichts einzuwenden, wenn zum Beispiel der Staat für eine Aufstockung der Vergütung bis zu einer gesetzlich vorgeschriebenen Mindesthöhe sorgt. Wenn es beim BAföG geht, warum geht es dann nicht bei der Ausbildungsvergütung? Das wäre ein richtiger Schritt in Richtung „Gleichwertigkeit“!
Das Zweite, was mich ärgert: Umbenennung statt Anerkennung. Statt über neue Bezeichnungen für berufliche Abschlüsse nachzudenken, hätten die Referenten der Bundesbildungsministerin aus meiner Sicht besser darüber nachgedacht, zusätzliche Bildungsangebote in die Berufsausbildung zu integrieren. Langfristig verlassen mehr als 70 Prozent eines Jahrgangs in unserem Land demnächst die Schulen mit dem Abitur in der Tasche. Auch diese jungen Menschen müssen attraktive Perspektiven in beruflicher Bildung finden.
Denn wenn auch das Gros der jungen Menschen an die (Fach-)Hochschulen strebt – der Arbeitsmarkt braucht dringend gut ausgebildete Fachkräfte mit einer beruflichen Ausbildung. Die dürfen aus meiner Sicht auch in Zukunft gerne Geselle, Facharbeiter und Meister heißen. Diese Begrifflichkeiten sind meiner Meinung nach Qualitätssiegel erster Güte.
Was bei der Umgestaltung der Berufsausbildung bitteschön auf keinen Fall passieren darf, hat die Reform des Studienwesens in Deutschland im negativen Sinne vorgemacht. Dabei wurde der international hoch angesehene Abschluss Diplom-Ingenieur in einem unüberlegten Akt der „Bachelorisierung“ geopfert. Und jetzt mal Hand auf’s Herz: Welcher Arbeitgeber sehnt sich angesichts eines Heers von Bachelors mit Turbo-Studium nicht nach dem guten alten Dipl.-Ing. zurück? Ich möchte keinesfalls unseren angesehenen Gesellenbrief einem Etikett opfern, das kein echtes Qualitätssiegel ist. Hier fehlt es mir an einer inhaltlichen und zukunftsorientierten Strategie.
Ihr
Frank Tischner
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