Sicherheit oder Freiheit?

Das ist die Kernfrage unserer modernen Gesellschaft. Auf der einen Seite verlangen wir vom Staat Schutz vor Gefahren für Leib und Seele, für unser Hab und Gut und natürlich unserer persönlichen Freiheit. Auf der anderen Seite wehren wir uns vehement gegen die Eingriffe in unseren Lebensbereich und die Einschränkung bei der Entfaltung unserer Persönlichkeit oder der Weiterentwicklung unseres Unternehmens.

Aktuelle Beispiele gefällig? Hierfür stehen die Datenschutz-Grundverordnung, das reformierte europäische Urheberrecht, Veröffentlichung von Verstößen gegen Lebensmittel-Vorschriften im Internet und, und, und.

Als Hauptgeschäftsführer eines Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbandes des selbstständigen Handwerks kenne und verstehe ich die Sorgen und den Unmut der kleinen und mittelständischen Unternehmen, wenn wieder einmal Bürokraten in Düsseldorf, Berlin oder Brüssel sich neue Vorschriften, Formulare oder Statistiken ausgedacht haben, die es den Handwerksunternehmerinnen und -unternehmern noch schwerer machen, das umzusetzen, wofür sie die Selbständigkeit gewählt haben und ein Unternehmen führen – nämlich ihr Handwerk meisterlich auszuüben. Ich wäre der Letzte, der nicht gegen diese Überreglementierung und Überbelastung der Handwerksunternehmen kämpfen würde, ganz im Gegenteil. An dieser Stelle sei nur an die gemeinsame Aktion mit den Volksbanken im Kreis Steinfurt, der Kreissparkasse Steinfurt  und der VerbundSparkasse Emsdetten-Ochtrup gegen die Überreglementierung erinnert, die Betriebe, Banken und Verbraucher gleichermaßen trifft. Den kleinen Erklärfilm dazu kann man noch unter www.ueberreglementierung-abbauen.de anschauen.

Ich bin aber auch gegen einen im Handwerk immer wieder anzutreffenden Wunsch nach Protektionismus. Natürlich ist es auch im Interesse der Kommunen bei freihändigen Vergaben erst einmal heimische Unternehmen zu berücksichtigen, denn diese leisten ja auch Gewerbesteuern und halten Arbeits- und Ausbildungsplätze vor. Doch einen Schutzwall für Handwerksbetriebe nach mittelalterlichem Muster kann und darf es nicht geben. Wie sagte mal ein Handwerksunternehmer ganz passend: „Ich will und brauche ja auch Aufträge außerhalb meines Betriebsortes.“ Ob Abschottung heute noch ein probates Mittel ist, wird man nach dem Brexit sehen. Doch dies ist ein anderes Kapitel.

Der Wunsch nach mehr unternehmerischer Freiheit ist verständlich und oftmals auch berechtigt. Der Unmut – sei es bei Arbeitgebern wie Arbeitnehmern – über den „Lohn neben dem Lohn“, den sozialen Abgaben, ist nachvollziehbar, macht dieser doch die Arbeitsstunde, die verkauft werden muss, teuer, ohne dass der Mitarbeiter dies im Geldbeutel spürt. Doch möchten wir wirklich Verhältnisse wie in den USA, wo 28 Millionen Menschen gar nicht krankenversichert oder unterversichert sind und für die eine Krankheit eine große Armutsfalle bedeutet? Möchten wir wirklich, dass Handwerksberufe zu Hochsicherheitstätigkeiten werden, weil es nur unzureichende Vorschriften zum Arbeitsschutz gibt? Wer übernimmt die Verantwortung für einen Brand, bei denen Todesopfer zu beklagen sind, weil Vorschriften des Brandschutzes missachtet wurden? Oder möchte man sein eigenes Leben oder das seiner Familie riskieren, weil auf deutschen Autobahnen Lkw- und Busfahrer wegen fehlender Ruhezeiten fatale Unfälle verursachen?

In einer zivilen Gesellschaft sind Gesetze, Verordnungen und Erlasse neben ethischen und gegebenenfalls auch religiösen Moral- und Normvorstellungen das Regelwerk des Miteinanders und bedeuten Verlässlichkeit und Frieden. Darüber steht das Grundgesetz, das grundlegende Freiheits-, Gleichheits- und Unverletzlichkeitsrechte, die dem Einzelnen in Deutschland gegenüber dem Staat, aber auch allgemein in der Gesellschaft zustehen, garantiert – jedoch mit der expliziten Einschränkung des Artikels 2, der lautet: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“.

Die Kunst der Staatsführung und der Politik muss es sein, immer diese beiden Eckpfeiler unserer freiheitlichen Gesellschaftsform im Blick zu behalten und sie klug auszutarieren. Und unsere Aufgabe ist es, die Politik darauf hinzuweisen, wenn das Pendel zu stark in die eine Richtung ausschlägt. Für das Verhältnis von Politik und Wirtschaft, für Staat und Markt muss der Satz von Karl Schiller wieder mehr Geltung bekommen: „So viel Markt wie möglich und so viel Staat wie nötig.“

Ich blicke durchaus kritisch auf Gesetze und Erlasse, aber deshalb befinden wir uns nicht im „Wilden Westen“. Im Wilden Westen wurden Gesetze aus einer sehr eigenen Form von Notwendigkeit geschaffen. Im Zweifelsfall entschied das eigene Rechtsempfinden über die Situation. Ich möchte nicht im Ansatz an diese Auswirkungen denken.

Ihr

Frank Tischner

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