Respekt
Das ist nicht irgendein Reisepass, das ist mein Reisepass. Warum zeige ich das Cover meines Reisepasses in diesem Blog – ein Bild, das jeder kennt und das tausendfach im Internet zu finden ist? Warum soll dieses Bild nun meinen Blogbeitrag illustrieren?
Wenn man sich die Mühe macht und einen solchen Beitrag verfasst und sich dafür die halbe Nacht um die Ohren schlägt, dann wünscht man sich natürlich auch, dass diese Gedanken von Menschen gelesen werden und sie Anlass zur Diskussion geben. Ich freue mich beim Schreiben aber auch darüber, dass ich überhaupt meine Meinung öffentlich sagen darf, ohne dass diese von staatlichen Stellen niedergeprügelt wird oder ich dafür um mein Leben fürchten muss.
Nun aber die spannende Frage: Können wir überhaupt noch diskutieren oder ist bei uns im gesellschaftlichen Miteinander nicht so Einiges auf der Strecke geblieben? Seine Meinung zu äußern, bedeutet im Gegenzug auch, dass wir die Meinung von anderen akzeptieren, auch wenn wir sie nicht teilen. Zumindest muss man bereit sein zuzuhören und zwar bis zum Ende, ohne dass man dazwischen redet und schon gar nicht schreit. Die Meinungsfreiheit ist Grundlage unserer Demokratie und hört dort auf, wo der andere in dessen Meinungsfreiheit beschränkt wird, indem er beschimpft, diskreditiert und persönlich beleidigt wird. Leider scheint das in Deutschland inzwischen immer mehr zur Normalität zu gehören – auch im Bundestag und den Landesparlamenten. Nur die eigene Meinung zählt noch, alles andere wird als Schwachsinn oder Lüge abgestempelt. Jedes Gespräch wird zur Einbahnstraße. Wer am lautesten und mit den billigsten Worten wie ein Affe durch die Gegend brüllt, der meint auch, dass er automatisch recht hat. Man macht sich nicht einmal mehr die Mühe, auf die Argumente des anderen einzugehen. Statt auf Gemeinsamkeiten zu verweisen, schaut man nur noch auf Unterschiede. Das große Bild und der Konsens sind egal und scheinen ganz weit weg.
Dieses Phänomen können wir leider nicht nur in Deutschland beobachten, in anderen Ländern der Erde haben Politiker dafür gesorgt, dass Nationen und deren Zivilgesellschaft gespalten werden. Aber ist es nicht Aufgabe der Politik, die Gesellschaft zusammenzuführen und mit Mehrheiten die Demokratie zu stützen?
Natürlich müssen wir in Deutschland über Themen reden, die die Gesellschaft beschäftigen, dennoch müssen wir aufpassen, in welchem Ton wir darüber sprechen. Nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sagte ein Teilnehmer einer „Pegida-Demonstration“ wortwörtlich, dieses sei nun mal eine „menschliche Reaktion“ auf die von Herrn Lübcke gezeigte Offenheit beim Thema Flüchtlinge. Nicht der, der geschossen und einen Menschen heimtückisch ermordet hat, sei schuld, sondern die Bundeskanzlerin, da sie die Grenzen für die Flüchtlinge geöffnet hat. Merken diese Leute überhaupt noch, wie sie gerade dabei sind, aus der Gesellschaft abzudriften? Nicht nur weg von der Menschlichkeit, sondern auch von der Wirklichkeit?
Diesen Blogbeitrag schreibe ich mitten in der Nacht in einem Hotelzimmer in Amman in Jordanien. Ein Land, welches bei einer Einwohnerzahl von 9,7 Mio. Menschen insgesamt über 4 Mio. Flüchtlinge aufgenommen hat. Nur zum Vergleich: Deutschland hat 82 Mio. Einwohner und hat zu Hochzeiten der Flüchtlingsmigration ca. 1,2 Mio. Menschen Zuflucht gewährt.
Für unsere Kreishandwerkerschaft versuche ich gerade, das Land im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) zu unterstützen und die dortigen Ausbildungsstrukturen zu verbessern. Dieses Engagement der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf hat mehrere Gründe. Ein wesentlicher ist, dass das Handwerk seit Jahrzehnten für Solidarität und Unterstützung steht. Wenn wir gefragt werden, dann diskutieren wir nicht lange, sondern helfen und arbeiten mit. Unsere Unterstützung eines Landes wie Jordanien ist kein Zuckerguss über eine interessensgeleitete Politik. Sie ist der eigenständige Ausdruck unserer Verbundenheit und unseres großen Respekts für die internationale Gemeinschaft.
Wenn ich dann wieder in Deutschland bin, werde ich immer wieder von sehr vielen interessierten Menschen auf dieses Engagement der Kreishandwerkerschaft angesprochen. Dann fallen auch Aussagen wie: „Wenn Du so viel Elend in diesen Ländern gesehen hast, dann weißt Du doch bestimmt jetzt was Armut ist?“ Das ist Mitnichten der Fall. Nein, ich weiß nicht, was Armut ist. Ich sehe zwar wie Menschen dort leben, ich sehe ein Land, in dem es Flüchtlingscamps gibt, in denen 70.000 Menschen in Zelten untergebracht sind, und ja, ich sehe stellenweise auch bittere Armut in der Bevölkerung. Aber ich weiß nicht, was Armut wirklich ist. Alleine die Tatsache, dass ich einen deutschen Pass besitze, ist für mich die Gewissheit, dass ich nicht erfahre, was wirkliche Armut ist. Dieser Reisepass ist für mich die Sicherheit, dass ich jederzeit nach Deutschland zurückkehren kann, notfalls sogar in einem Flugzeug, das mich bei Krisen oder Krankheit aus diesen Regionen herausholt.
Ich spreche bewusst von dem „deutschen Reisepass“, denn in unserer deutschen Nationalhymne heißt es „Einigkeit, Recht und Freiheit“. Diese Begriffe stehen für die Demokratie in Deutschland. Demokratie braucht Ausdauer, gerade in schwierigen Zeiten. Demokratie bedeutet, dass man Uneinigkeit aushalten kann, sie kennt keine einfachen Lösungen. Demokratie bedeutet Respekt, auch und gerade vor dem Andersdenkenden. Dieses erscheint mir mit Blick auf unsere Gesellschaft momentan jedenfalls sehr weit weg. Vielleicht sollte man öfter einen Blick auf seinen deutschen Reisepass werfen, der sich übrigens schon lange im EU-einheitlichen Dunkelrot präsentiert.
Ihr
Frank Tischner
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