Ausgeladener Unsinn!
Regelmäßig statte ich dem Friseurbetrieb meines Vertrauens einen Besuch ab. Dort lasse ich mir meine altersgemäß bereits leicht ergrauten Haare in Form schneiden. Damit es etwas flotter aussieht, style ich sie jeden Morgen mit ein wenig Haarwachs. So gefällt es mir, hoffentlich auch meiner Frau und jetzt kommt das seit heute nicht mehr Selbstverständliche: Ich wurde noch nie aufgrund meiner Frisur von einer Veranstaltung ausgeladen.
Sie haben richtig gelesen! Mit meiner Frise bin ich bisher noch durch jede Tür gekommen. Heute Morgen las ich in der Zeitung folgenden Artikel, der mir allerdings die Haare zu Berge stehen ließ:
„Ausgeladen – wegen ihrer Frisur. Die hannoversche Ortsgruppe von „Fridays for Future“ hat die für den Klimaprotest am Freitag gebuchte Musikerin Ronja Maltzahn aus Münster ausgeladen, weil sie Dreadlocks trägt. Zur Begründung hieß es unter anderem, dass Dreadlocks „bei weißen Menschen eine Form der kulturellen Aneignung“ seien. „Dreadlocks wurden erst durch die Versklavung schwarzer Menschen aus afrikanischen Ländern und Indien in die USA gebracht, wo sie später in Bürgerrechtsbewegungen schwarzer Menschen zum Widerstandssymbol wurden“, …
Ich fasse zusammen: Junge Menschen, die sich bemerkenswert für ihre Zukunft einsetzen und unser aller Planeten vor dem Klimakollaps bewahren wollen, stören sich an der Frisur einer Person und lassen sie deshalb nicht bei einem Klimaprotest musizieren!? Geht´s noch?
Es geht hier nicht um die Frage der kulturellen Aneignung
Wohlgemerkt: Es geht mir nicht um die Frage der kulturellen Aneignung und ob Menschen mit weißer Hautfarbe keine Dreadlocks haben dürfen. Die Frisuren-Diskussion ist für mich eher ein Symptom für die Verkopftheit einer Jugendbewegung, die ja Gutes und Richtiges will, aber sich immer mehr als Prinzipienreiter gerieren. Gibt es keinen Unterschied mehr zwischen einer jungen Frau, der man vielleicht zu viel Modebewusstsein und zu wenig Sensibilität vorwerfen kann, aber gewiss keinen Rassismus und einem Neonazi mit Springerstiefel und Hakenkreuz-Tatoos? Musste gleich der Auftritt in aller Öffentlichkeit gecancelt und die Sängerin an den Pranger gestellt werden, wo ist hier die Verhältnismäßigkeit? Was ist mit Tätowierungen, sind die denn erlaubt? Was ist mit den schwarz-weißen Arafattüchern? Dürfen Westfalinnen überhaupt noch Dirndl tragen? Und darf ich als Mitt-Fünfziger weiße Sneaker zur hochgekrempelten Jeans tragen und Hip Hop hören oder eigne ich mir damit ein zu jugendliches Auftreten an, was auch ein Ausladungsgrund wäre?
Es ist zu befürchten, dass die Friday for Future-Bewegung mit diesem Verhalten viel Porzellan zerschlagen wird. „Ihr könnt nicht allein die Welt retten“, möchte ich ihnen gerne entgegenrufen. Wenn Ihr alles und jedes verändern wollt und zwar sofort, dann werdet Ihr scheitern.“ Und das wäre schade. Deshalb mein Rat: Behaltet Eure Ideale, aber seid pragmatischer.
Eines hat die lächerliche Diskussion um die Musikerin Ronja und die Gesinnungsprüfung anhand von Frisuren den jungen Leuten hoffentlich gezeigt, nämlich wie schwierig es Politiker haben zwischen Anspruch und Wirklichkeit und dem Wunsch, es allen recht zu machen. Sie können es vielleicht besser machen, wenn sie ganz einfach das Richtige tun und sich nicht darum kümmern, dass alle anderen es richtig machen.
Am morgigen Freitag findet der Klimastreik von Fridays for Future in Hannover statt. Leider ohne Ronja Maltzahn. Ich lade alle Fridays for Future Anhänger ein, sich Gedanken über eine Zukunft im Handwerk zu machen statt über schwarze Widerstandssymbole auf weißen Köpfen. Es gibt 129 Handwerksberufe. Viele davon sind unverzichtbar, um in Zukunft mit erneuerbaren Energien zu leben und zu arbeiten. Im Traum käme wohl kein Handwerksbetrieb darauf, einem Auszubildenden aufgrund von Dreadlocks den Job zu verwehren.
Klimagerechtigkeit geht anders. Stimmt. Aber nicht so!
Ihr Frank Tischner