Mehr Respekt!
Wenn mich als Jugendlicher ein Polizist auf meinem Fahrrad mit defektem Rücklicht angehalten hat, hat mir das Herz bis zum Hals geklopft, weil ich wusste, dass ich bei etwas erwischt wurde, was nicht richtig war. Die Polizei sorgt für Recht und Ordnung, aber sie ist auch dein Freund und Helfer – so habe ich es schon von klein auf verinnerlicht. Und so hatte ich stets gehörigen Respekt vor Polizisten, weil sie – wie meine Eltern – eine Autorität waren, die man anerkannt hat. Auch wenn ich nicht wie so viele meiner Freunde in Kindheitstagen später Feuerwehrmann werden wollte, verband ich doch schon immer große Achtung vor Berufen, in denen man sich um den Schutz und das Wohlergehen der Menschen kümmert, wozu natürlich auch die Rettungssanitäter gehören – unabhängig davon ob man dies hauptberuflich oder ehrenamtlich ausübt. Sie löschen Feuer, retten Leben und verhindern durch ihre Arbeit häufig Schlimmeres. Während ich darüber nachdenke, welchen Bezug ich persönlich zur Polizei und zur Feuerwehr habe, wächst das Unverständnis darüber, dass es Menschen gibt, die eine gänzlich andere Einstellung gegenüber diesen Einsatzkräften zu haben scheinen.
Natürlich denke ich dabei an die jüngsten Geschehnisse des zurückliegenden Jahreswechsels. Nicht nur in Berlin kam es dabei zu Ausschreitungen mit neuem Gewaltausmaß. Statt Silvesterraketen in den Himmel zu knallen, wurden Polizisten mit Pyrotechnik beschossen. Rettungskräfte in einem Rettungswagen wurden mit einem Feuerlöscher beworfen. Was bitte läuft da schief? Zum Glück war ein Großteil der Angreifer männlich und mit Migrationshintergrund – dann können wir uns ja weiter auf die Diskussion über gescheiterte Integration konzentrieren (Achtung: Das war Ironie!).
Hilft uns ein Verbot von Feuerwerk? Ich gebe zu, persönlich brauche ich diese Knallerei an Silvester nicht, und viele gute Argumente sprechen dafür, es im Sinne der Umwelt, ängstlicher Haustiere etc. einfach bleiben zu lassen. Aber ist wirklich das Feuerwerk hier das eigentliche Problem?
Abgrenzungsschwierigkeiten
Meiner Meinung nach geht es um die Missachtung grundlegende Werte. Nein, ich haue jetzt nicht in die alte Kerbe „Die Jugend von heute hat keinen Respekt mehr“. Dem ist nämlich nicht so, davon bin ich fest überzeugt. Zum Jungsein gehört schließlich auch, vorgelebte Werte infrage zu stellen und eine eigene Persönlichkeit auszubilden. Wichtig ist nur, wie dies geschieht. Auch junge Menschen möchten Anerkennung und Wertschätzung und fordern Respekt von anderen. Wobei Respekt hier oftmals gleichgesetzt wird mit Gehorsam und Statussicherung.
Sie sind aber anders als vorherige Generationen und haben andere Möglichkeiten. Jugendliche bekommen heutzutage durch das Internet und soziale Medien alles mit, ob richtig oder falsch, und sind häufig überwältigt und zeitgleich überfordert von allem, was da in Echtzeit auf sie einprasselt.
Und sind wir, die sich nicht ausreichend respektiert fühlen, nicht mit verantwortlich? Angefeuert von vielen Faktoren diskreditieren wir jede Form von Autorität, machen Werte wie Disziplin, Toleranz und Verantwortung verächtlich und lächerlich. Und dann wundern wir uns, wenn Werte nichts mehr gelten und junge Menschen orientierungslos sind? Wir reden schlecht über Deutschland und das, was wir in Deutschland in vielen Jahrzehnten erreicht haben, und wundern uns dann, wenn junge Menschen nicht dazugehören wollen? Lehrkräfte dürfen nicht mehr sanktionieren, ohne sich vor Vorgesetzen und Eltern rechtfertigen zu müssen. Polizisten werden gemaßregelt, es wird sich über sie lustig gemacht, anstatt ihnen Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen.
Respekt vorleben
Wenn es nicht wieder einen Unterschied macht, ob man sich an Regeln hält oder nicht, ob man fleißig und vorbildlich ist oder nicht, ob man sich anstrengt oder nicht, können wir noch so viele Sozialarbeiter einstellen, es wird nichts bringen. Diejenigen, die den Laden noch am Laufen halten, werden sich still und leise verabschieden. Gleiches Phänomen nehmen wir auch in unseren Überbetrieblichen Werkstätten wahr. Der dort gelebte Respekt zwischen Auszubildenden und Ausbildern ist ein Ergebnis vieler Respekt erzeugender, respektabler Verhaltensweisen. Denn Respekt kann nicht einfach abgerufen werden, sondern muss auch vorgelebt werden. Die spannendste Frage für mich nach den Geschehnissen in der Silvesternacht: Wie reagiert der Staat auf die Gewaltausschreitungen? Wir brauchen übrigens keine neue Gesetzesgrundlage zum konsequenten Durchgreifen – diese haben wir längst.
Zugegeben, aktuell sind es sehr „große“ Themen wie der Krieg und die Klimakrise, und auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie beschäftigen uns immer noch. Hinzu kommen Abgrenzungsprobleme der Jugendlichen zu den Erwachsenen. Mit Blick auf meine Kindheit hörten wir früher andere Musik, zogen andere Klamotten an und stylten uns die Haare anders als „unsere alten Herrschaften“. Überlegen Sie mal, wie das heute aussieht. Aus eigener Erfahrung als Vater kann ich berichten, dass mein Sohn und ich z. B. die gleichen Marken tragen, beide das gleiche Smartphone besitzen und bekannte Streamingdienste im Familienaccount nutzen. Will sagen: Der Lifestyle ist der gleiche. Um sich abzugrenzen, testen junge Menschen ihre Grenzen aus. Doch wenn in Videospielen, in den Nachrichten und vor sowie hinter der eigenen Haustür Gewalt herrscht – dann nimmt der Versuch, sich abzugrenzen, zwangsläufig völlig neue Ausmaße an. Erschreckend!
Elementare Grundwerte
Dem können wir nur entgegenwirken, wenn wir an den Grundwerten festhalten. Es geht um die Unterscheidung zwischen Richtig und Falsch. Sich an gesellschaftliche Regeln zu halten, wie z. B. Rettungskräfte im Einsatz nicht zu behindern, kein Video mit dem Smartphone von Menschen in einer Notsituation aufzunehmen oder es gar zu veröffentlichen und selbstverständlich keine Polizisten oder Feuerwehrmänner anzugehen – weder verbal noch körperlich. Zu wissen, was sich in unserer Gesellschaft gehört und was nicht, ist elementar für unser Zusammenleben. Und wer sich nicht daranhält, muss die Konsequenzen unverzüglich zu spüren bekommen.
Im direkten familiären Umfeld kenne ich keine Polizei- und Rettungskräfte. So muss ich mir glücklicherweise auch nicht ständig Sorgen um mir nahestehende Menschen machen, die in ihrer beruflichen Tätigkeit zunehmender Gewaltbereitschaft ausgesetzt sind. Aber ich denke an alle, die sich jeden Tag angstvoll von einem Menschen verabschieden, der nur seinen Dienst für unsere Gesellschaft antreten möchte. Und ich denke an alle jungen Menschen, die sich noch nicht gefunden haben und überfordert sind. Vielleicht brauchen sie eine Aufgabe – das Handwerk bietet viele.
Ihr Frank Tischner