Das müsst Ihr probieren

Gastfreundschaft bezeichnet „entgegenkommendes Verhalten gegenüber einem Gast, das in dessen freundlicher Aufnahme, Beherbergung und der Gewährung von Schutz zum Ausdruck kommt“ (Oxford Wörterbuch). Diese Definition wird dem, was ich bei meiner letzten Dienstreise in Jordanien erleben durfte, jedoch nicht einmal annähernd gerecht.

In meiner Funktion als Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Steinfurt Warendorf bin ich es gewohnt andere Länder zu bereisen. Im Auftrag des Bundes­ministe­riums für wirt­schaftl­iche Zusammen­arbeit und Entwicklung (BMZ) und der Deutschen Gesell­schaft für Inter­nationale Zusammen­arbeit GmbH (GIZ), einem öffent­lichen Unter­nehmen des Bundes, führen wir seit Jahren verschie­dene Projekte in der internationalen Berufsbildung durch, engagieren uns international und übernehmen als Handwerk Verantwortung weit über die Kreise Steinfurt und Warendorf hinaus – ob in Südafrika, Mosambik oder Jordanien. Dabei geht es nicht zuletzt auch darum, Arbeitskräfte aus Drittstaaten für Deutschland zu gewinnen.

In dieser Zusammenarbeit habe ich schon viel erlebt, war überrascht von Andersartigkeiten, irritiert über Rückständigkeit und immer wieder erstaunt über die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen außerhalb von Deutschland. Doch noch nie war ich so von purer Gastfreundschaft ergriffen, wie ich sie jetzt in Jordanien erleben durfte.

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die Kreishandwerkerschaft Steinfurt Warendorf aktuell in Aqaba den Aufbau des Existenzgründungs- und Wirtschaftszentrums ANVT-Hub (Aqaba National Vocational Training). Neben den üblichen politischen Treffen und von mir durchgeführten Workshops mit den Akteuren vor Ort, wurden wir zum Abendessen in das “House of Ladies Roses Association“ eingeladen, ein Zusammenschluss von rund 20 Gründerinnen, die sich gegenseitig beim Aufbau sowie der Vermarktung ihrer unterschiedlichen Geschäftsideen unterstützen. Von Backwaren über Pralinen, Teppichen bis hin zu Schmuck war alles dabei, womit sich die Frauen dort selbstständig und ein Stück weit unabhängiger machen möchten.

Dieser Abend wird mir allerdings für immer in Erinnerung bleiben und steht für mich ab sofort für Gastfreundschaft im wahrsten Sinne des Wortes. Nur einige Eindrücke: Während alle Anwesenden sich auf Stühlen niederließen, wurde ich auf dem „besten Platz“ platziert – einem weichen Sofa mit Kissen. Alle hatten Speisen vorbereitet, zum Teil zwei Tage lang hatten sie Teige geknetet, Oliven entsteint, Fische gebraten und alles dekorativ arrangiert. Es gab sogar eine eigene Torte, wie man sie sonst auf Hochzeiten sieht, nur für mich, hergestellt in mehr als zehn Stunden Handarbeit. „Das müsst ihr probieren“ war wohl der häufigste Satz des Abends. Und ich habe probiert und probiert und probiert. Wer könnte und dürfte da auch „Nein“ sagen?! Und was ist schon eine schlaflose Nacht mit vollem Bauch gegen die zahlreichen strahlenden Augen glücklicher Gründerinnen, die mir stolz ihre Geschäftsideen präsentieren konnten? Denn schließlich ging es eigentlich „ums Geschäft“, denn die Präsentation von Gründungsideen war der Kern des Abends. Berührt habe ich mich dafür bedankt, die Produkte und Dienstleistungen gelobt, den jungen Fragen aber auch konstruktive Vorschläge gemacht und ihnen somit Wertschätzung für ihre selbstständige Arbeit entgegengebracht.

Aber der Abend hat mich auch nachdenklich gemacht: In einer Zeit, in der die Menschen nur den sprichwörtlichen Steinwurf entfernt von uns, an der Grenze zu Israel, ganz andere Sorgen hatten, traf ich auf Menschen, deren Gastfreundschaft ihresgleichen sucht. Die mich nicht kannten, die nichts über mich privat, meine Religion oder politische Meinung wissen, geschweige denn, ob sie mich jemals wiedersehen. Doch an diesem Abend waren wir Freunde, die wertschätzend miteinander umgegangen sind. Und wenn ich dann an unsere „Deutsche Willkommenskultur“ denke, wird mir ganz anders.

Erst wenn Menschen ihre Herzen öffnen und sich von Mensch zu Mensch in die Augen sehen und sich gegenseitig ein Lächeln schenken – ohne Hintergedanken, Befürchtungen – erst dann kann echte Gastfreundschaft gelebt werden. Das sollten wir alle mal probieren!

Das Foto zu diesem Blogbeitrag zeigt übrigens das Geschenk, das mir Shatha und Majeda, zwei junge Gründerinnen, in Jordanien gemacht haben. Sie haben das Logo der Kreishandwerkerschaft aus filigraner Papierkunst erstellt. Und nicht nur dieses sichtbare Geschenk wird mich immer an diesen Abend und die außergewöhnliche Gastfreundschaft erinnern.

Shkran. (Danke auf Arabisch)

Ihr Frank Tischner