Die Kurve kriegen

Ich bin beim Stöbern auf einen Fragebogen der Zeit Online-Redaktion gestoßen, der – in Anlehnung an Max Frisch, der in seinen Tagebüchern Fragen zu den großen Themen des Lebens gestellt hatte – sich der Arbeitswelt widmet. Mit der Beantwortung von 25 Fragen kommt man dem eigenen Verhältnis zur Arbeit näher. Ich verrate an dieser Stelle nicht, wie ich diese Fragen beantwortet habe, empfehle aber den Selbstversuch. Zu finden ist der Fragebogen unter www.zeit.de

Erst vor kurzem musste ich mich – auch ohne den ZEIT-Fragebogen – mit meinem beruflichen Werdegang auseinandersetzen. Für die Berufsinformationstage, die sich an die gymnasialen Oberstufen der verschiedenen Schulen in Warendorf richtet, wurde ich von den Organisatoren als „Keynote-Speaker“ eingeladen, bei der Eröffnungsveranstaltung vor rund 180 Schülerinnen und Schülern etwas von mir zu erzählen. Unter dem Titel #einfachmachen – Auch Berufswege mit Kurven führen zum Ziel habe ich versucht, den angehenden Abiturienten und wahrscheinlich mehrheitlich auch zukünftigen Studenten klar zu machen, dass es nicht nur sinnvoll, sondern auch sehr befriedigend sein kann, den Bildungs- und Berufsweg nicht nur auf der kreuzungsfreien Autobahn zu befahren, wenn auch gut ausgebaute Bundesstraßen zum Erfolg führen.

Für die Präsentation zu meinem Vortrag habe ich in der großen Bilderkiste gewühlt (meine beruflichen Anfänge lagen vor der digitalen Fotografie und den Smartphones) und es wurde mir wieder bewusst, wie unbefriedigend ich es empfunden habe, nur auf meine Rente hin zu arbeiten, und wie spannend es war, darauf zu warten, was hinter der nächsten Kurve meines nicht geraden Berufsweges liegt.

ZEIT-Fragebogen:

Die Aussicht auf Rente/Pension ist für Sie in Ihrem Alltag …
Motivation
Schrecken
Unerheblich

Gewiss, es fährt sich entspannter auf einer geraden Strecke – nicht nur für Autofahrer, sondern auch für die, die ihr Berufsleben planen, dieses kann aber auch durchaus sehr ermüdend sein. Bei einer Karrierestraße mit Serpentinen besteht die Gefahr, bei zu hoher Geschwindigkeit aus der Kurve zu fliegen oder ausgebremst zu werden, wenn das Überholmanöver nicht gelingt, weil man nicht so weit vorausschauen kann. Aber wie heißt es so schön: „No risk, no fun!“ Natürlich ist jeder Wechsel mit einem Risiko verbunden. Wir halten an Gewohntem fest, vor der der Angst etwas zu verlieren. Oft ist diese Angst vor dem Verlust größer als die Freude und die Hoffnung, etwas möglicherweise Positiveres gewinnen zu können.

Gestartet bin ich ganz klassisch mit einer Handwerkslehre als Bäcker und Konditor und der Meisterprüfung im Konditoren-Handwerk, anschließend bin dann auf „Wanderschaft“ gegangen, habe zunächst meine handwerklichen, fachlichen Fähigkeiten erweitert und verfeinert und schlug dann den Weg in Richtung Betriebswirtschaft, Marketing, Vertrieb und Management ein. Meine Heimat, das Handwerk, hatte ich zwischenzeitlich verlassen und war in einem familiengeführten und einem amerikanischen Lebensmittelkonzern tätig. Doch das Handwerk, seine Vielfalt, seine Menschen und seine Herausforderungen haben mich dann doch nicht losgelassen. So bin ich jetzt seit ein paar Jahren Hauptgeschäftsführer einer Kreishandwerkerschaft, der fast 2.400 Handwerksunternehmen angehören, und habe auch hier noch viele Ziele, denn „ankommen“ möchte ich noch lange nicht.

Es war bei mir nie ein Job-Hopping aus Unzufriedenheit oder Langeweile, es war immer die Lust auf die nächste spannende Herausforderung, sein Wissen zu erweitern und gleichzeitig seine Erfahrung einzubringen. Ich hatte allerdings auch keinen konkreten Karriereplan, was ich mit welchem Alter erreichen wollte. Ich bin einfach mit viel Tatendrang los marschiert. Heute würde man mir vielleicht vorwerfen, dass ich naiv gehandelt, ich würde sagen, dass ich mich eher ungebunden und frei gefühlt habe. Ich habe meine Berufe und Tätigkeiten eigentlich immer gerne und mit viel Herzblut ausgeübt und ich bin vor allem auch neugierig und bereit, für meine Ziele etwas zu investieren. 

ZEIT-Fragebogen:

In der Rückbetrachtung: Was hat Ihren beruflichen Werdegang im Besonderen geprägt?
Bedürfnis nach Sicherheit

Interesse an Geld
Anerkennung in Familie und unter Freunden
Entsprechende Gelegenheiten

Natürlich habe ich auf meinem beruflichen Weg Unterstützung und auch eine Menge Verständnis gebraucht – vor allem von meiner Familie. Was nach meiner Erfahrung nicht zwingend notwendig ist, ist eine akademische Ausbildung. Die Handwerkslehre hatte mir für mein Karrieremobil ein Fahrgestell geliefert, das mir auch bei einer kurvenreichen Strecke stets eine gute Straßenlage und Bodenhaftung garantierte.

ZEIT-Fragebogen:

Glauben Sie, dass Sie Ihre beste berufliche Position …
… noch vor sich haben?
… bereits hatten?
… gerade jetzt innehaben?

Ich hoffe, ich kann ein „Best Practice Beispiel“ für junge Leute sein, nicht nur immer den geraden Weg zu gehen, wenn es um den Beruf geht. Unser Schul- und Ausbildungssystem ist so durchlässig und flexibel, dass die Entscheidung für eine Handwerkslehre keine Einbahnstraße darstellt, sie ist vielmehr der Zubringer zu einer vielspurigen Fahrbahn beruflicher Entwicklungsmöglichkeiten.

Ihr
Frank Tischner

Rückmeldungen gerne unter feedback@handaufsherz.blog