Energie freisetzen statt einsparen

Die Energielage ist ernst. Nicht ohne Grund erhalten wir durch die Medien in den letzten Wochen vermehrt Energiespartipps. Da wird uns jetzt das Kochen mit Deckel empfohlen, kalt duschen sei ohnehin gesünder für die Durchblutung und nur wer zu viel Geld hat, lässt noch sämtliche Geräte über Nacht im Stand-By-Modus.

Richtig ist sicher, jeder dieser Tipps hilft, Energie einzusparen. Doch möchte ich in diesem Blogbeitrag Politik, Wirtschaft und auch Sie persönlich dazu aufrufen: Setzt Energie frei!

Energie freisetzen? Wir sollen doch Energie einsparen. Ja, ich meine mit meinem Appell die Energie, die es braucht, um innovative Ideen zu entwickeln, diese umsetzen und damit neue Wege zu gehen. Leider beobachte ich von dieser Art der Energie viel zu wenig. Wieso muss immer erst etwas Schlimmes passieren, ehe sich etwas ändert? Ein Beispiel: Vor einem Jahr wird auf einer viel befahrenen Straße in Rheine ein vierjähriges Kind angefahren und lebensgefährlich verletzt. Schon lange forderten die Anwohner eine Geschwindigkeitsbegrenzung, die nach dem Unfall schnell zugesagt wird. Doch dann stockt alles und Stand heute wird über Zuständigkeiten und Platzierungen von Verkehrsschildern diskutiert. Bürokratie, was sonst. Die Autos fahren deshalb noch so schnell wie vor dem Unfall. Oder bleiben wir bei dem aktuellen Beispiel der Situation unserer Energieversorgung. Ein schlimmer Angriffskrieg auf die Ukraine löst bei uns die Erkenntnis aus, dass wir endlich ein Umdenken in der Energiepolitik brauchen, warum hatten wir nicht schon viel früher die Erkenntnis, als es nicht um einen Krieg ging, sondern „nur“ um unsere Erde und den Fortbestand einer Ökologie für die nächste Generation?

Was ich damit zum Ausdruck bringen möchte: Wir verändern häufig erst etwas auf Druck und nach sehr emotionalen Erlebnissen. Jüngst gab es eine Umfrage zur Helmpflicht für Radfahrer. Raten Sie mal: Richtig, ein Großteil der Befragten wünscht sich die Helmpflicht, trägt selbst aktuell jedoch keinen Fahrradhelm. Müssen wir uns wirklich zu unserem Glück, unserem eigenen Überleben, zwingen lassen? Das scheint auch beim Klimawandel der Fall zu sein. Jahrzehntelang haben wir das Thema ausgeblendet. Jetzt, wo aufgrund des Krieges die Energie knapp wird und es uns allen finanziell richtig wehtut, da gibt die Erkenntnis und auch verstärktes Handeln hin zu einem klimafreundlichen Weg. Das jüngste Beispiel: Das 9 Euro-Ticket. Auf einmal geht das. Wieso erst jetzt? Hier geht es noch nicht einmal um den Preis, es geht vor allem um die Vereinfachung eines Systems, was vorher niemand verstanden hat. Ein Dschungel aus Tarifverbünden, Tarifzonen und Animositäten von Verkehrsverbünden ist ausgehebelt und es gilt bundesweit ein Ticket. Ein Traum vom Abbau von Verwaltungsstrukturen kann endlich wahr werden.

Mit Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 haben wir gesehen, dass plötzlich Vieles möglich war. Seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 in der Ukraine geht noch mehr. Doch gingen da nicht noch ganz andere Dinge, wenn wir den echten Willen zur Veränderung aufbringen und als Gesellschaft noch stärker zusammenhalten?

Alle reden von der Energiewende, machen aber nahezu weiter wie zuvor. Doch wie bitte wollen wir die in Deutschland schaffen, wenn wir einfach keine Menschen haben, die sich tatkräftig darum kümmern? Von den Lieferschwierigkeiten beim Material mal ganz abgesehen. Mit Einsparungen verlangsamen wir unseren Verbrauch, kommen aber langfristig nicht wirklich weiter. Für eine echte Wende, ist sehr viel unserer Energie nötig, die wir z. B. in den Umbau vorhandener Heizungsanlagen stecken müssen.

In einem TV-Interview war die Energieexpertin und Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, Lamia Messari-Becker zu Gast. Es ging darum, dass bis zum Jahr 2030 sechs Mio. Wärmepumpen in Deutschland installiert werden sollen. Ebenso wie Prof. Messari-Becker halte ich dies für unrealistisch. Wer soll diese Arbeit durchführen? Die Ziele der Politik stimmen nicht mit der Realität im Handwerk überein. Sie betont im weiteren Verlauf des Interviews, dass wir technologieoffen sein müssen und jede Technologie zur Energieeinsparung nutzen sollten: „Ungenutzt ist in diesen Zeiten untragbar“ – ein großartiges Zitat, wie ich finde. Denn es passt so gut zum Handwerk.

Zum 1. August startet das neue Ausbildungsjahr. Allein in unserem Einzugsgebiet sind derzeit noch viele Ausbildungsplätze unbesetzt, meine persönliche Schätzung liegt bei 300. Insgesamt fehlen im Handwerk aktuell laut Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) rund 250.000 Fachkräfte. Die Zukunftsaussichten für junge Menschen im Handwerk sind demnach sehr gut. Die Nachfrage wäre da. Ich würde so weit gehen und sagen: Das Handwerk als junger Mensch für die eigene Ausbildung nicht zu nutzen, ist in diesen Zeiten untragbar. Alle Möglichkeiten sind da, das Handwerk wartet nur auf junge Menschen, die ihre Energie einbringen. Und damit letztlich für unser aller Zukunft Energie einsparen.

Hören wir also bitte auf mit unserer persönlichen Bilanzfälschung und setzen endlich die Energie frei, die es für die Energiewende braucht!

Ihr Frank Tischner